Duino Elegies: A Bilingual Edition
Zwar du erschrakst ihm das Herz; doch ältere Schrecken
stürzten in ihn bei dem berührenden Anstoß.
Ruf ihn … du rufst ihn nicht ganz aus dunkelem Umgang.
Freilich, er will, er entspringt; erleichtert gewöhnt er
sich in dein heimliches Herz und nimmt und beginnt sich.
Aber begann er sich je?
Mutter, du machtest ihn klein, du warsts, die ihn anfing;
dir war er neu, du beugtest über die neuen
Augen die freundliche Welt und wehrtest der fremden.
Wo, ach, hin sind die Jahre, da du ihm einfach
mit der schlanken Gestalt wallendes Chaos vertratst?
Vieles verbargst du ihm so; das nächtlich-verdächtige Zimmer
machtest du harmlos, aus deinem Herzen voll Zuflucht
mischtest du menschlichern Raum seinem Nacht-Raum hinzu.
Nicht in die Finsternis, nein, in dein näheres Dasein
hast du das Nachtlicht gestellt, und es schien wie aus Freundschaft.
Nirgends ein Knistern, das du nicht lächelnd erklärtest,
so als wüßtest du längst, wann sich die Diele benimmt …
Und er horchte und linderte sich. So vieles vermochte
zärtlich dein Aufstehn; hinter den Schrank trat
hoch im Mantel sein Schicksal, und in die Falten des Vorhangs
paßte, die leicht sich verschob, seine unruhige Zukunft.
Und er selbst, wie er lag, der Erleichterte, unter
schläfernden Lidern deiner leichten Gestaltung
Süße lösend in den gekosteten Vorschlaf—:
schien ein Gehüteter … Aber innen: wer wehrte,
hinderte innen in ihm die Fluten der Herkunft?
Ach, da war keine Vorsicht im Schlafenden; schlafend,
aber träumend, aber in Fiebern: wie er sich ein-ließ.
Er, der Neue, Scheuende, wie er verstrickt war,
mit des innern Geschehns weiterschlagenden Ranken
schon zu Mustern verschlungen, zu würgendem Wachstum, zu tierhaft
jagenden Formen. Wie er sich hingab—. Liebte.
Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,
diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein
lichtgrün sein Herz stand. Liebte. Verließ es, ging die
eigenen Wurzeln hinaus in gewaltigen Ursprung,
wo seine kleine Geburt schon überlebt war. Liebend
stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,
wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes
Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.
Ja, das Entsetzliche lächelte … Selten
hast du so zärtlich gelächelt, Mutter. Wie sollte
er es nicht lieben, da es ihm lächelte. Vor dir
hat ers geliebt, denn, da du ihn trugst schon,
war es im Wasser gelöst, das den Keimenden leicht macht.
Siehe, wir lieben nicht, wie die Blumen, aus einem
einzigen Jahr; uns steigt, wo wir lieben,
unvordenklicher Saft in die Arme. O Mädchen,
dies: daß wir liebten in uns, nicht Eines, ein Künftiges, sondern
das zahllos Brauende; nicht ein einzelnes Kind,
sondern die Väter, die wie Trümmer Gebirgs
uns im Grunde beruhn; sondern das trockene Flußbett
einstiger Mütter—; sondern die ganze
lautlose Landschaft unter dem wolkigen oder
reinen Verhängnis—: dies kam dir, Mädchen, zuvor.
Und du selber, was weißt du—, du locktest
Vorzeit empor in dem Liebenden. Welche Gefühle
wühlten herauf aus entwandelten Wesen. Welche
Frauen haßten dich da. Was für finstere Männer
regtest du auf im Geäder des Jünglings? Tote
Kinder wollten zu dir … O leise, leise,
tu ein liebes vor ihm, ein verläßliches Tagwerk,—führ ihn
nah an den Garten heran, gieb ihm der Nächte
Übergewicht . . . . . .
Verhalt ihn . . . . . .
THE THIRD ELEGY
It’s one thing to sing the loved one. Another, alas,
to sing that hidden guilty river-god of the blood!
Her youthful lover, whom she knows from afar: what sense has he
of that Lord of Lust who often, roused from solitude—
before she could soothe him, and often as though she herself
were nothing—ah, roused from what unsounded depths
lifts his streaming godhead, inciting the night to infinite uproar.
O the blood’s Neptune, O his terrible trident.
O the dark wind of his breast from the shell’s whorl.
Listen, as the night grows tunneled and cavelike. You stars,
does not the lover’s delight in his beloved’s face
come from you? Does not his passionate oneness with her pure
features derive from your celestial fire?
But not you, O girl, nor yet his mother,
stretched his eyebrows so fierce with expectation.
Not for your mouth, you who hold him now,
did his lips ripen into these fervent contours.
Do you really think your quiet footsteps
could have so convulsed him, you who move like dawn wind?
True, you startled his heart; but older terrors
rushed into him with that first jolt to his emotions.
Call him … you’ll never quite retrieve him from those dark consorts.
Yes, he wants to, he escapes; relieved, he makes a home
in your familiar heart, takes root there and begins himself anew.
But did he ever begin himself?
Mother, you created him, you made him small;
with you he was new, and over his new eyes you arched
the friendly world, shutting the strange one out.
Where, where are those years, when with your slender form
you stood calmly between him and his surging chaos?
How much you kept from him that way; everything sinister
in his room at night you made harmless; from your heart’s haven
you poured a more human space into his own shadowy world.
You placed the night-light not in the darkness
but in your nearer being, where it shone like a friend.
The slightest creak—and you explained it, smiling,
as though you’d long known just when the floor would act up …
And he listened and was soothed. Your quiet entrance
had such force; his tall, cloaked destiny
stepped behind the wardrobe, and his restless future,
gently shifting, molded itself to the folds of the curtain.
And he: lying there, calmed, beneath
drowsy eyelids the sweetness of your gentle presence
dissolving into the first hints of sleep—:
he seemed well-guarded. But within: who fended there,
who checked the floods of origin within him?
Ah, there was no caution in that sleeper; asleep,
but dreaming, and in a kind of fever: what paths he took!
He, so shy, so unwary, how embroiled he was,
with all those spreading tendrils of inner event already
twisted into primitive patterns, into throttling growth, into prowling
animal-like forms. How he gave in to it all—. Loved.
Loved his interior world, his secret jungle, that primeval
forest inside him, from whose floor of ancient downfall
his own heart rose, shimmering green. Loved it. Left it,
followed his roots into that violent source-world
where his small birth seemed all but nothing. Awestruck,
he descended into the elder blood, into the ravines
where things ghastly lay, still gorged with fathers. And every
Terror recognized him, winke
d, seemed to understand.
Yes, Horror smiled at him … Smiled
as seldom you smiled, mother. How could he not love
what smiled at him that sweetly? He loved it
before you; for it was there even as you bore him,
dissolved in the fluid that carries the embryo.
You see, we don’t love like flowers, the effort
of just one year; sap from time immemorial
flows through our arms when we love. O girl,
this: that we’ve loved, within us, not that one person yet to come,
but all the weltering brood; not some single child,
but the fathers who lie like mountain-ruins
within us; and the dried-up riverbed
of former mothers—; and the whole
soundless landscape beneath our cloudy
or cloudless fate: all that, O girl, claimed him first.
And you yourself, unwittingly—: you conjured
primal times in your lover. What feelings
writhed up out of beings long vanished! What
women inside him hated you! Who were those shrouded men
you raised in his youthful veins? Dead children
strained to reach you … O gently, gently,
show him the love that adheres to a calm, everyday task, —lead him
close to the garden, give him those nights
that even out the scales . . . . . .
Temper him . . . . . .
DIE VIERTE ELEGIE
O Bäume Lebens, o wann winterlich?
Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-
vögel verständigt. Überholt und spät,
so drängen wir uns plötzlich Winden auf
und fallen ein auf teilnahmslosen Teich.
Blühn und verdorrn ist uns zugleich bewußt.
Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen,
solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht.
Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz,
ist schon des andern Aufwand fühlbar. Feindschaft
ist uns das Nächste. Treten Liebende
nicht immerfort an Ränder, eins im andern,
die sich versprachen Weite, Jagd und Heimat.
Da wird für eines Augenblickes Zeichnung
ein Grund von Gegenteil bereitet, mühsam,
daß wir sie sähen; denn man ist sehr deutlich
mit uns. Wir kennen den Kontur
des Fühlens nicht: nur, was ihn formt von außen.
Wer saß nicht bang vor seines Herzens Vorhang?
Der schlug sich auf: die Szenerie war Abschied.
Leicht zu verstehen. Der bekannte Garten,
und schwankte leise: dann erst kam der Tänzer.
Nicht der. Genug! Und wenn er auch so leicht tut,
er ist verkleidet und er wird ein Bürger
und geht durch seine Küche in die Wohnung.
Ich will nicht diese halbgefüllten Masken,
lieber die Puppe. Die ist voll. Ich will
den Balg aushalten und den Draht und ihr
Gesicht aus Aussehn. Hier. Ich bin davor.
Wenn auch die Lampen ausgehn, wenn mir auch
gesagt wird: Nichts mehr—, wenn auch von der Bühne
das Leere herkommt mit dem grauen Luftzug,
wenn auch von meinen stillen Vorfahrn keiner
mehr mit mir dasitzt, keine Frau, sogar
der Knabe nicht mehr mit dem braunen Schielaug:
Ich bleibe dennoch. Es giebt immer Zuschaun.
Hab ich nicht recht? Du, der um mich so bitter
das Leben schmeckte, meines kostend, Vater,
den ersten trüben Aufguß meines Müssens,
da ich heranwuchs, immer wieder kostend
und, mit dem Nachgeschmack so fremder Zukunft
beschäftigt, prüftest mein beschlagnes Aufschaun,—
der du, mein Vater, seit du tot bist, oft
in meiner Hoffnung, innen in mir, Angst hast,
und Gleichmut, wie ihn Tote haben, Reiche
von Gleichmut, aufgiebst für mein bißchen Schicksal,
hab ich nicht recht? Und ihr, hab ich nicht recht,
die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang
Liebe zu euch, von dem ich immer abkam,
weil mir der Raum in eurem Angesicht,
da ich ihn liebte, überging in Weltraum,
in dem ihr nicht mehr wart.…: wenn mir zumut ist,
zu warten vor der Puppenbühne, nein,
so völlig hinzuschaun, daß, um mein Schauen
am Ende aufzuwiegen, dort als Spieler
ein Engel hinmuß, der die Bälge hochreißt.
Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel.
Dann kommt zusammen, was wir immerfort
entzwein, indem wir da sind. Dann entsteht
aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis
des ganzen Wandelns. Über uns hinüber
spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,
sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand
das alles ist, was wir hier leisten. Alles
ist nicht es selbst. O Stunden in der Kindheit,
da hinter den Figuren mehr als nur
Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.
Wir wuchsen freilich und wir drängten manchmal,
bald groß zu werden, denen halb zulieb,
die andres nicht mehr hatten, als das Großsein.
Und waren doch, in unserem Alleingehn,
mit Dauerndem vergnügt und standen da
im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,
an einer Stelle, die seit Anbeginn
gegründet war für einen reinen Vorgang.
Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt
es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands
ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod
aus grauem Brot, das hart wird,—oder läßt
ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps
von einem schönen Apfel? . . . . . . Mörder sind
leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,
den ganzen Tod, noch vor dem Leben so
sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,
ist unbeschreiblich.
THE FOURTH ELEGY
O trees of life, how far off is winter?
We’re in disarray. Our minds don’t commune
like those of migratory birds. Left behind and late,
we force ourselves suddenly on winds
and fall, exhausted, on indifferent waters.
Blooming makes us think of fading.
And somewhere out there lions still roam, oblivious,
in all their splendor, to any weakness.
We, though, even when intent on one thing wholly,
already feel the cost exacted by some other. Conflict
is our next of kin. Aren’t lovers always
reaching borders, each in the other,
despite the promise of vastness, royal hunting, home?
Then: for an instant’s virtuoso sketch
a ground of contrast is prepared, laboriously,
so we can see it; for they’re very clear
with us. We don’t know our feelings’ contour,
only what shapes it from outside.
Who hasn’t sat anxiously before his heart’s curtain?
It rose: the scenery for Parting.
Easy to understand. The familiar garden,
swaying slightly: then—the dancer.
Not him. Enough! However light his entrance
he’s in disguise and turns into a burgher
who enters his kitchen to reach his living room.
I loathe watching these half-filled masks;
give me the puppet. At least it’s real. I can take
the hollow body and the wire and the face
that is pure surface. Right here. I’m out in front.
Even when the lights go out, even when someone
says to me:
“It’s over—,” even when from the stage
a gray gust of emptiness drifts toward me,
even when not one silent ancestor
sits beside me anymore—not a woman, not even
the boy with the brown squint-eye:
I’ll sit here anyway. One can always watch.
Aren’t I right? You, father, for whom life
turned so bitter when you tasted mine—
that first murky influx of what would feed my drives—
who kept on sampling it as I grew older, and,
intrigued by the aftertaste of so strange a future,
tried looking through my vague upward gaze,—
you, father, who since your death have been here
often in my hope, far inside me, afraid,
forfeiting that equanimity the dead possess, whole
kingdoms of equanimity, for my bit of fate—
Aren’t I right? And you women—aren’t I right?—
who loved me for that small, hesitating
love for you I always veered from,
because I felt the realm in your faces, even
as I loved it, changing into worldspace
where you were absent…: what if I do choose
to wait in front of the puppet stage—no,
to stare with so much force that finally, to counteract
my stare, an Angel will arrive here as an actor,
and jolt life into those hard husks.
Angel and Puppet: then, finally, the play begins.
Then what we keep apart, simply by our
presence here, conjoins. Then from the separate
seasons of our life that one great wheel
of transformation arises. Above us, beyond us,
the angel plays. The dying—surely they
must guess how full of pretext
is all that we achieve here. Nothing
is what it is. O childhood hours,
when behind each shape there was more
than mere past, and before us—not the future.
True, we were growing, and often we spurred ourselves
to grow up faster, half for the sake of those
who had nothing left but their grownness.
And yet, off alone, we were happy
with what stayed the same, and we stood there
in the space between world and plaything,
upon a spot which, from the first beginning,
had been established for pure event.
Who shows a child just as he is? Who places him
in a constellation and hands him the measure
of distance and interval? Who makes a child’s death
out of gray bread that hardens,—or leaves
it in his round mouth like the core