nicht weiß ich, welche Töne dir lieb sind.

  Nicht mehr versuch ich, dich, wenn das Kommende wogt,

  zu erkennen. Alle die großen

  Bilder in mir, im Fernen erfahrene Landschaft,

  Städte und Türme und Brücken und un-vermutete

  Wendung der Wege

  und das Gewaltige jener von Göttern

  einst durchwachsenen Länder:

  steigt zur Bedeutung in mir

  deiner, Entgehende, an.

  Ach, die Gärten bist du,

  ach, ich sah sie mit solcher

  Hoffnung. Ein offenes Fenster

  im Landhaus—, und du tratest beinahe

  mir nachdenklich heran. Gassen fand ich,—

  du warst sie gerade gegangen,

  und die Spiegel manchmal der Läden der Händler

  waren noch schwindlich von dir und gaben erschrocken

  mein zu plötzliches Bild.—Wer weiß, ob derselbe

  Vogel nicht hinklang durch uns

  gestern, einzeln, im Abend?

  WENDUNG

  Der Weg von der Innigkeit zur Größe geht durch das Opfer.

  Kassner

  Lange errang ers im Anschaun.

  Sterne brachen ins Knie

  unter dem ringenden Aufblick.

  Oder er anschaute knieend,

  und seines Instands Duft

  machte ein Göttliches müd,

  daß es ihm lächelte schlafend.

  Türme schaute er so,

  daß sie erschraken:

  wieder sie bauend, hinan, plötzlich, in Einem!

  Aber wie oft, die vom Tag

  überladene Landschaft

  ruhete hin in sein stilles Gewahren, abends.

  Tiere traten getrost

  in den offenen Blick, weidende,

  und die gefangenen Löwen

  starrten hinein wie in unbegreifliche Freiheit;

  Vögel durchflogen ihn grad,

  den gemütigen; Blumen

  wiederschauten in ihn

  groß wie in Kinder.

  Und das Gerücht, daß ein Schauender sei,

  rührte die minder,

  fraglicher Sichtbaren,

  rührte die Frauen.

  Schauend wie lang?

  Seit wie lange schon innig entbehrend,

  flehend im Grunde des Blicks?

  Wenn er, ein Wartender, saß in der Fremde; des Gasthofs

  zerstreutes, abgewendetes Zimmer

  mürrisch um sich, und im vermiedenen Spiegel

  wieder das Zimmer

  und später vom quälenden Bett aus

  wieder:

  da beriets in der Luft,

  unfaßbar beriet es

  über sein fühlbares Herz,

  über sein durch den schmerzhaft verschütteten Körper

  dennoch fühlbares Herz

  beriet es und richtete:

  daß es der Liebe nicht habe.

  (Und verwehrte ihm weitere Weihen.)

  Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze.

  Und die geschautere Welt

  will in der Liebe gedeihn.

  Werk des Gesichts ist getan,

  tue nun Herz-Werk

  an den Bildern in dir, jenen gefangenen; denn du

  überwältigtest sie: aber nun kennst du sie nicht.

  Siehe, innerer Mann, dein inneres Mädchen,

  dieses errungene aus

  tausend Naturen, dieses

  erst nur errungene, nie

  noch geliebte Geschöpf.

  KLAGE

  Wem willst du klagen, Herz? Immer gemiedener

  ringt sich dein Weg durch die unbegreiflichen

  Menschen. Mehr noch vergebens vielleicht,

  da er die Richtung behält,

  Richtung zur Zukunft behält,

  zu der verlorenen.

  Früher. Klagtest? Was wars? Eine gefallene

  Beere des Jubels, unreife.

  Jetzt aber bricht mir mein Jubel-Baum,

  bricht mir im Sturme mein langsamer

  Jubel-Baum.

  Schönster in meiner unsichtbaren

  Landschaft, der du mich kenntlicher

  machtest Engeln, unsichtbaren.

  >MAN MUSS STERBEN WEIL MAN SIE KENNT
  (>Papyrus Prisse<. aus den spr des ptah-hotep handschrift um v. ch.>
  > Man muß sterben weil man sie kennt.
  an der unsäglichen Blüte des Lächelns. Sterben

  an ihren leichten Händen. Sterben

  an Frauen.

  Singe der Jüngling die tödlichen,

  wenn sie ihm hoch durch den Herzraum

  wandeln. Aus seiner blühenden Brust

  sing er sie an:

  unerreichbare! Ach, wie sie fremd sind.

  Über den Gipfeln

  seines Gefühls gehn sie hervor und ergießen

  süß verwandelte Nacht ins verlassene

  Tal seiner Arme. Es rauscht

  Wind ihres Aufgangs im Laub seines Leibes. Es glänzen

  seine Bäche dahin.

  Aber der Mann

  schweige erschütterter. Er, der

  pfadlos die Nacht im Gebirg

  seiner Gefühle geirrt hat:

  schweige.

  Wie der Seemann schweigt, der ältere,

  und die bestandenen

  Schrecken spielen in ihm wie in zitternden Käfigen.

  AN HÖLDERLIN

  Verweilung, auch am Vertrautesten nicht,

  ist uns gegeben; aus den erfüllten

  Bildern stürzt der Geist zu plötzlich zu füllenden; Seeen

  sind erst im Ewigen. Hier ist Fallen

  das Tüchtigste. Aus dem gekonnten Gefühl

  überfallen hinab ins geahndete, weiter.

  Dir, du Herrlicher, war, dir war, du Beschwörer, ein ganzes

  Leben das dringende Bild, wenn du es aussprachst,

  die Zeile schloß sich wie Schicksal, ein Tod war

  selbst in der lindesten, und du betratest ihn; aber

  der vorgehende Gott führte dich drüben hervor.

  O du wandelnder Geist, du wandelndster! Wie sie doch alle

  wohnen im warmen Gedicht, häuslich, und lang

  bleiben im schmalen Vergleich. Teilnehmende. Du nur

  ziehst wie der Mond. Und unten hellt und verdunkelt

  deine nächtliche sich, die heilig erschrockene Landschaft,

  die du in Abschieden fühlst. Keiner

  gab sie erhabener hin, gab sie ans Ganze

  heiler zurück, unbedürftiger. So auch

  spieltest du heilig durch nicht mehr gerechnete Jahre

  mit dem unendlichen Glück, als wär es nicht innen, läge

  keinem gehörend im sanften

  Rasen der Erde umher, von göttlichen Kindern verlassen.

  Ach, was die Höchsten begehren, du legtest es wunschlos

  Baustein auf Baustein: es stand. Doch selber sein Umsturz

  irrte dich nicht.

  Was, da ein solcher, Ewiger, war, mißtraun wir

  immer dem Irdischen noch? Statt am Vorläufigen ernst

  die Gefühle zu lernen für welche

  Neigung, künftig im Raum?

  [Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens]

  Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,

  siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,

  aber wie klein auch, noch ein letztes

  Gehöft von Gefühl. Erkennst du’s?

  Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund

  unter den Händen. Hier blüht wohl

  einiges auf; aus stummem Absturz

  blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.

  Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann

  und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.

  Da geht wohl, heilen Bewußtseins,

  manches umher, manches gesicherte Bergtier,

  wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel

  kreist um der Gipfel reine Verweigeru
ng.—Aber

  ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens.…

  DER TOD

  Da steht der Tod, ein bläulicher Absud

  in einer Tasse ohne Untersatz.

  Ein wunderlicher Platz für eine Tasse:

  steht auf dem Rücken einer Hand. Ganz gut

  erkennt man noch an dem glasierten Schwung

  den Bruch des Henkels. Staubig. Und: >Hoff-nung
  an ihrem Bug in aufgebrauchter Schrift.

  Das hat der Trinker, den der Trank betrifft,

  bei einem fernen Frühstück ab-gelesen.

  Was sind denn das für Wesen,

  die man zuletzt wegschrecken muß mit Gift?

  Blieben sie sonst? Sind sie denn hier vernarrt

  in dieses Essen voller Hindernis?

  Man muß ihnen die harte Gegenwart

  ausnehmen, wie ein künstliches Gebiß.

  Dann lallen sie. Gelall, Gelall.…

  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  O Sternenfall,

  von einer Brücke einmal eingesehn—:

  Dich nicht vergessen. Stehn!

  AN DIE MUSIK

  Musik: Atem der Statuen. Vielleicht:

  Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen

  enden. Du Zeit,

  die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen.

  Gefühle zu wem? O du der Gefühle

  Wandlung in was?—: in hörbare Landschaft.

  Du Fremde: Musik. Du uns entwachsener

  Herzraum. Innigstes unser,

  das, uns übersteigend, hinausdrängt,—

  heiliger Abschied:

  da uns das Innre umsteht

  als geübteste Ferne, als andre

  Seite der Luft:

  rein,

  riesig,

  nicht mehr bewohnbar.

  DUINESER ELEGIEN

  (1923)

  Notes

  The property of Princess

  Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe

  (1912/1922)

  DIE ERSTE ELEGIE

  Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel

  Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme

  einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem

  stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts

  als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,

  und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,

  uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

  Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf

  dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen

  wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,

  und die findigen Tiere merken es schon,

  daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind

  in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht

  irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich

  wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern

  und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,

  der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.

  O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum

  uns am Angesicht zehrt—, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,

  sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen

  mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?

  Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.

  Weißt du’s noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere

  zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel

  die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.

  Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche

  Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob

  sich eine Woge heran im Vergangenen, oder

  da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,

  gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.

  Aber bewältigtest du’s? Warst du nicht immer

  noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles

  eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,

  da doch die großen fremden Gedanken bei dir

  aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)

  Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange

  noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.

  Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du

  so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn

  immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;

  denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm

  nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.

  Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur

  in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,

  dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa

  denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,

  dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel

  dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?

  Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen

  fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend

  uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:

  wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung

  mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.

  Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur

  Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf

  aufhob vom Boden; sie aber knieten,

  Unmögliche, weiter und achtetens nicht:

  So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest

  die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,

  die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.

  Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.

  Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen

  zu Rom and Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?

  Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,

  wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.

  Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts

  Anschein abtun, der ihrer Geister

  reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.

  Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,

  kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,

  Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen

  nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;

  das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,

  nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen

  wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.

  Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,

  alles, was sich bezog, so lose im Raume

  flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam

  und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig

  Ewigkeit spürt.—Aber Lebendige machen

  alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.

  Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter

  Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung

  reißt durch beide Bereiche alle Alter

  immer mit sich und übertönt sie in beiden.

  Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,

  man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten

  milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große

  Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft

  seliger Fortschritt entspringt—: könnten wir sein ohne sie?

  Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos

  wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;

  daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling

  plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene

  Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.

  DIE ZWEITE ELEGIE

  Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch
, weh mir,

  ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele,

  wissend um euch. Wohin sind die Tage Tobiae,

  da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür,

  zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar;

  (Jüngling dem Jüngling, wie er neugierig hinaussah).

  Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen

  eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochauf-

  schlagend erschlüg uns das eigene Herz. Wer seid ihr?

  Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung,

  Höhenzüge, morgenrötliche Grate

  aller Erschaffung,—Pollen der blühenden Gottheit,

  Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne,

  Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte

  stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln,

  Spiegel: die die entströmte eigene Schönheit

  wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.

  Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir

  atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut

  geben wir schwächern Geruch. Da sagt uns wohl einer:

  ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling

  füllt sich mit dir … Was hilfts, er kann uns nicht halten,

  wir schwinden in ihm und um ihn. Und jene, die schön sind,

  o wer hält sie zurück? Unaufhörlich steht Anschein

  auf in ihrem Gesicht und geht fort. Wie Tau von dem Frühgras

  hebt sich das Unsre von uns, wie die Hitze von einem

  heißen Gericht. O Lächeln, wohin? O Aufschaun:

  neue, warme, entgehende Welle des Herzens—;

  weh mir: wir sinds doch. Schmeckt denn der Weltraum,

  in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel

  wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes,

  oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig

  unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre

  Züge soviel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter

  schwangerer Frauen? Sie merken es nicht in dem Wirbel